Zwischen Freiheit und Amerika

Kafka 2.0 in den Kammerspielen

Kafka 2.0: Die Ohnmacht des Einzelnen gegen die Macht der Datensammler. (Foto: Gabriela Knoch)
Wie aktuell ist Kafka? Muss seine Aktualität bewiesen werden? Wie frei sind wir in Zeiten von Überwachungsstaat und Vorratsdatenspeicherung und kann Generation Y eine kollektive Identität, ein eigenes Bewusstsein oder gar eine Moral vorweisen? Diese Fragen wirft das multimediale Theaterprojekt Kafka 2.0 unter der Regie von Björn Gabriel auf und versucht, sie mal mehr, mal weniger nah an Kafka zu diskutieren. Ein skurriles Erlebnis ist hier garantiert. 

Eine Kritik von Ulrike Meyer

Schon vor dem Betreten der Kammerspiele wird dem Zuschauer bewusst, dass es ihm nicht möglich sein wird, sich dem interaktiven Charakter des Stücks zu entziehen. Einige willkürlich ausgewählte Gäste werden kontrolliert, als wollten sie nicht das Theater, sondern vielleicht den Bundestag oder ein Flugzeug betreten, andere dürfen gleich passieren. In den grün ausgeleuchteten Kammerspielen herrscht sofort eine merkwürdig drückende Stimmung - besonders wohl wird man sich während der Vorstellung nicht mehr fühlen.

Die dauernde Präsenz der Kameras, die jederzeit jeden durchleuchten können und nicht nur die Schauspieler verfolgen, macht ein Abschalten unmöglich und das Gefühl, als Mensch gläsern zu sein, beklemmend präsent.

Über eine Leinwand, die einem zunächst den Blick auf den hinteren Bereich der Bühne verwehrt, laufen Datenalgorithmen. Sie sollen den Bedrohungsgrad der Anwesenden berechnen. Später zeigt die Leinwand Filmsequenzen, die trashig bis abstrus anmuten und live übertragen, was die Schauspieler dahinter performen. Gespickt wird das Gezeigte mit surrealistischen Bildern, wie sie etwa in Salvador Dalís und Luis Buñuels Film Ein andalusischer Hund von 1929 zu finden sind.

Mit einer wirr anmutenden Anordnung von Bildern, Kerzen und Steinen unterstützt das Bühnenbild von Stefanie Dellmann den unwirklich rätselhaften Charakter des Stückes. Edward Snowden trifft auf die französische Marianne und trotzdem wirkt nichts zwanghaft konstruiert. Ebenso treffend sind die Kostüme der vier Schauspieler gestaltet.

Daniel Ratthei und Claudia Kraus. (Foto: Gabriela Knoch)
Franz eins bis vier, von Alexander Hetterle, Claudia Kraus, Daniel Ratthei und Timo Ben Schöfer gespielt, finden sich, mal auf der Leinwand, mal unmittelbar auf der Bühne in verschiedenen surrealen, albtraumhaften Situationen und versuchen laut gegen ihre Unfreiheit und die Mächte über sie aufzubegehren. Man beobachtet, wie Franz sich auf der Suche nach Freiheit und Amerika als nahezu ironisches Sinnbild über Rausch und Wahn in eine Ohnmacht bringt, aus der er eigentlich nie herausfinden konnte.

Begleitet von Kafkazitaten und Parabeln wird hier versucht, Kafka auf eine moderne Art anzugehen, an sein Denken anzuknüpfen. Hierbei wird viel Wert auf Impulsivität und laute Verzweiflung gelegt, welche die Schauspieler eindrucksvoll aufzuzeigen wissen.

Das Stück bedient sich nahezu aller vorstellbaren Stilmittel zur Provokation und Verunsicherung. Musikalische Untermalung, Lichteffekte, die volle Raumnutzung und ein ständiges Aufheben der vierten Wand schaffen es, den Zuschauer für sich einzunehmen und den Besuch somit zu einem Erlebnis zu machen.

Für Denjenigen, der genau danach, nach einem Gefühl oder einem Denkanstoß sucht, hat das Projekt sicher viel zu bieten. Ob der düster-wirre und still-verzweifelte Charakter der Werke Kafkas damit getroffen wurde, bleibt jedoch fraglich. Der Applaus zumindest bleibt verhalten und schlussendlich fragen sich nicht nur die gegen Ende eingespielten Pixies: Where is my mind?


Besuchte Vorstellung: 4. März 2016 
Weitere Termine: 19. und 30. März, 6., 13., 20. und 30. April,
13. und 22. Mai | jeweils um 20 Uhr

Und das meint Anna Sophia zu Kafka 2.0:
Der gläserne Mensch 

Informationen und ein Video zum Stück auf der Seite des Mainfranken Theaters.

1 Kommentar:

  1. Wow, echt cool geschrieben. Ich werde es mir mit meiner Familie ansehen.

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