Was unsere Gesellschaft im Inneren zusammenhält - Träume und Scherben

Premiere: Linchpin / Die Glasmenagerie im Großen Haus

Der Würfel als Sinnbild: Die Würzburger Ballett-Compagnie, im Vordergrund: Aleksey Zagorulko. (Foto: Lioba Schöneck)


























Die Tiefen der eigenen menschlichen Psyche erscheinen uns immer wieder unergründlich, ambivalent und konfus. Wie ein würfelartiges Konstrukt, das sich mit umtriebiger Beschäftigung immer wieder von neuen Seiten zeigt. Die Psyche hält uns gefangen, auf der Suche nach dem Selbst. So könnte man die gestellte Metapher der Requisite in Linchpin (übersetzt: Dreh- und Angelpunkt) verstehen, ein anfangs kleiner, von den Figuren untersuchter Würfel, der sich im Laufe der Inszenierung immer weiter zu vergrößern scheint und somit auch das Publikum in Bezug zur Thematik setzt. Mit Erkenntnissen der Tiefenpsychologie des 20. Jahrhundert, bringt uns der Choreograph Can Arslan die menschliche Psyche lehrreich und abstrakt ein Stück näher.

Eine Kritik von Josephine Neubert

Mit Smartphonehand, Zeitnotblick und Raucherhusten, so rennen die Tänzer der Ballettcompagnie wild über das Parkett der großen Bühne im Mainfranken Theater. Was sie verbindet? Laut Carl Gustav Jung (1875- 1961) das kollektive Unbewusste. Wer kennt es nicht: die überraschende Liebe auf den ersten Blick, das wundersame Déjà-vu? Es bezeichnet sich gerne auch als spirituell und unergründlich. Arslan fragt sich, was uns in dieser immer anonymer werdenden Gesellschaft noch zusammenhält und trifft auf die innovativen Inhalte des kollektiv Unbewussten. Er lässt Instinkte und Archetype, Dinge in einer gewissen Weise zu erfahren, nicht erlernte Neigungen, auf der Bühne tanzen.

Was unsere Gesellschaft im Inneren zusammenhält


Die Choreographie ist fern von einer weichen, träumerischen Ästhetik und unterscheidet sich so auch von der am selben Abend aufgeführten Choreografie Die Glasmenagerie. Scharfkantig, gebrochen und widersprüchlich tanzt die Ballettcompagnie die inneren Konflikte der materialistischen Massen. Im Kampf um die eigene Selbstverwirklichung treten acht Tänzerinnen und Tänzer in verschiedenen Farben auf, wie auch die acht psychologischen Typen nach Jung, welche er noch einmal unter introvertierten und extrovertieren Typen aufspaltet. Die Tänzer verwirklichen jeweils auf ihre eigene Weise die differenzierten Typen und fordern ein Suchen und Entschlüsseln von den Zuschauern.

Neben den verschiedenen psychologischen Typen und Archetypen erscheint auch ein Schatten, großartig getanzt von Davit Bassénz. Er umtreibt die Figuren und verführt sie zu unmoralischen sowie instinktiven Handlungen. Musikalisch entführt die düstere Musik von Belá Bartók in eine moderne Ballettinszenierung. Can Arslan wagt sich an die Theorien Carl Gustav Jungs, trifft allerdings auf ein gespaltenes Würzburger Publikum, das teils in purer Begeisterung und Euphorie, teils in Entsetzen und Unverständnis versinkt. Mit angeeignetem Hintergrundwissen kann die Ballettkreation zahlreiche Aufschlüsselungen über das Selbst bieten.

Träume und Scherben


Das Familiendrama Die Glasmenagerie von Tennessee Williams wurde im Anschluss emotional und mitreißend von Ivan Alboresi inszeniert. Nachdem die Familie Wingfield vom Vater (Ioannis Mitrakis) verlassen wird, geben sich Laura (Caroline Vandenberg), Amanda (Camilla Matteucci) und Tom (Mihael Belilov) ihren eigenen Traumwelten hin, welche tänzerisch verzaubern. Eine zerbrechliche Welt über Schmerz, Hoffnung, Liebe und die große Gefahr des Erwachens ist entworfen und erntet Beifall vom Publikum.

Laura (Caroline Vandenberg, Mitte) in ihrer Traumwelt. (Foto: Lioba Schöneck)





Weitere Termine:
19., 23. und 30. April, 6., 14. und 20. Mai | 19. 30 Uhr
22. Mai | 15 Uhr
10. und 22. Juni, 6. und 15. Juli | 19.30 Uhr

Mehr Infos auf der Seite des Mainfranken Theaters.


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