Wenn nur der Augenblick bleibt

Premiere: Mandel und Seepferdchen in den Kammerspielen
 
Georg Zeies, Claudia Kraus, Corinna Mühle und Alexander Hetterle in der deutschsprachigen Erstaufführung. (Foto: Gabriela Knoch)




























Wo liegt die Bedeutung des Augenblicks? Funktionieren Leben und Liebe ohne Erinnerung und wer trägt die Verantwortung, wenn diese erst einmal verloren ist? Fragen, die Kaite O'Reillys 2008 uraufgeführtes Stück Mandel und Seepferdchen aufwirft und überraschend sanft und trotzdem humorvoll zu beantworten versucht. Von Stephan Suschke inszeniert, schafft es die deutschsprachige Erstaufführung am 12. April in den Würzburger Kammerspielen zu berühren.

Eine Kritik von Ulrike Meyer

Wie sehr das Funktionieren im Leben vom eigenen Gedächtnis abhängt, fällt einem vermutlich erst dann auf, wenn man es einmal verloren hat. Joe (Alexander Hetterle) und seine Frau Sarah (Corinna Mühle) sehen sich jeden Tag aufs Neue mit den Problemen konfrontiert, die der Verlust seines Kurzzeitgedächtnisses mit sich bringt. Immer wieder führen sie die gleichen Gespräche und nur zu oft muss Sarah Joe daran erinnern, dass sein Gedächtnis nicht mehr so funktioniert wie es sollte. Während sie sich eigentlich Kinder und eine gemeinsame Zukunft mit Joe gewünscht hatte, fühlt sie sich nun wie "an einen Animateur auf Acid gekettet" und möchte auch sich selbst wieder einmal wichtig sein.

Auch Tom (Georg Zeies) hat mit dem Gedächtnisverlust seiner Gwennan, gespielt von Maria Brendel, zu kämpfen. Nach einem Unfall vor 20 Jahren blieb die Zeit für sie stehen und sie muss Tag für Tag entdecken, dass sie inzwischen gealtert ist und der Greis vor ihrem Zimmer tatsächlich Tom. So versteckt sie sich tagtäglich in ihrem Zimmer und ist die meiste Zeit über nur über eine Projektion auf der Bühne zu sehen. Hierbei ist vor allem die Mimik der Schauspielerin sehr vereinnahmend und authentisch. Zwischen ihnen allen steht Dr. Ife Falmer (Claudia Kraus), die neben einer besonderen Faszination für das menschliche Gedächtnis auch eine eigenartige Verantwortung für alle Beteiligten hat. Auf die ein oder andere Weise kreuzen sich die Wege aller und man wird mitgenommen in einen absurden Klinikalltag ohne Erinnerung.

Der Schauplatz des Geschehens ist hauptsächlich der Flur der Gedächtnisklinik, das passende Bühnenbild von Anika Wieners steril weiß ohne Chichi. Hier sorgen die fünf Darsteller für eine erstaunliche Dynamik. Gerne beobachtet man die Gespräche auf der Bühne. Genau so gern hört man den Figuren zu, wenn sie sich und ihr Leben erklären und selbst zu verstehen versuchen.
Auffällig ist hierbei O'Reillys sehr bildliche Sprache, die sich vieler Metaphern und Vergleiche bedient. Das ist vermutlich auch nötig, um die kaum begreiflichen Dinge zu fassen, die sich um Mandel und Seepferdchen, wie übrigens zwei Regionen im Gehirn genannt werden, abspielen. Minuten lang lassen sich gespannt Verzweiflung, Liebe, Wut, bitterer Sarkasmus und die ein oder andere Weisheit auf der Bühne verfolgen, bis man am Ende vielleicht die Bedeutung eines einfachen "Hallo" neu zu schätzen lernt.

Im Premierenpublikum zumindest schien die Vorstellung etwas ausgelöst zu haben. So schloss eine Zuschauerin schließlich: "Naja, das Leben."


Weitere Vorstellungen:
17. und 27. April, 4., 11. und 18. Mai, 2. und 19. Juni, 5., 15. und 21. Juli | jeweils um 20 Unr

Mehr Infos zum Stück auf der Seite des Mainfranken Theaters.


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