Der gläserne Mensch

Premiere: Kafka 2.0 in den Kammerspielen
Daniel Ratthei als Franz 1: "Es gibt keinen Rückzugsort, diese Zeiten sind vorbei." (Foto: Gabriela Knoch)























Kafka 2.0, ein multimediales Theaterprojekt nach Motiven von Franz Kafka in der Regie von Björn Gabriel, feierte am Donnerstag, 18. Februar, in den Kammerspielen des Mainfranken Theaters Premiere. Es setzt bei einem brandaktuellen Thema an: Dem Freiheitsverlangen des Menschen, das bereits zu Kafkas Zeiten in Konkurrenz zum Sicherheitsfanatismus stand.

Eine Kritik von Anna Sophia Merwald

Die Inszenierung beginnt schon vor der Aufführung: als plötzlich zwei Männer, gekleidet wie bei einem Banküberfall, die Türen der Kammerspiele für das Publikum öffnen. Sofort geht ein Raunen durch die Reihen und einer nach dem anderen wird von den beiden kontrolliert. Scheinbar zufällig Ausgewählte müssen sich mit den Händen hinter dem Kopf und dem Rücken zu ihnen aufstellen. „Da kriegt man schon ganz schön Angst, wenn man direkt am Anfang so ausgecheckt wird“, lässt eine junge Frau verlauten. Auch wenn sich jeder bewusst ist, dass er es mit Schauspielern und nicht mit echten Türstehern zu tun hat, liegt eine seltsame Spannung in der Luft.

Selbst in einem Land, in dem bereits herrenlose Koffer neben großen Polizei-Einsätzen Angst und Schrecken in der Bevölkerung auslösen, sind solche Maßnahmen im Theater ungewöhnlich und stoßen zunächst auf verdutzte und verunsicherte Gesichter – genauso wie die Szenen einer auf das Publikum gerichteten Videokamera. Von einem Computer werden die Zuschauer zu Beginn der Aufführung in die Kategorie „wholly utilizable“ (völlig brauchbar) eingeteilt. Die Videokamera ist nahezu in jeder Szene präsent und betont so den Faktor der dauerhaften Kontrolle. Es gibt während der gesamten Inszenierung immer wieder Live-Videos von Szenen zu sehen, die gerade synchron von den Darstellern hinter der Leinwand gespielt werden. Die Kamera und mit ihr die Zuschauer begleiten die Schauspieler bis in ihre Pause, wo diese hinter einem harmlosen Piepen gleich eine Abhöranlage des Inspizienten wittern.

               Die Überwachung kennt kennt keine Grenzen: Timo Ben Schöfer und Alexander Hetterle in Kafka 2.0               (Foto: Gabriela Knoch)

Ähnlich wie bei Kafkas Briefen, Erzählungen und Romanfragmenten, die in Zeiten des gläsernen Menschen, aktueller denn je sind, wird auch hier der unwiderstehliche Drang nach Freiheit, nach einem Ausbruch aus dem Datengefängnis geschildert. Franz-Darsteller Daniel Ratthei schmettert diesen Anspruch jedoch mit einem vernichtenden Urteil ab: „Es gibt keinen Rückzugsort, kein Versteck, diese Zeiten sind vorbei, nicht nur für mich!“ An ihm wird ein Exempel statuiert: er befindet sich in einem Prozess, in dem eine freie Auswahl zwischen der scheinbaren, verschleppten und der nicht erreichbaren, wirklichen Freisprechung, propagiert wird. Den einzigen Ausweg aus diesem korrupten Überwachungsapparat bietet nur das Aufsetzen einer Maskerade, um seine eigentlichen Gedanken nicht zu offenbaren. Denn was würde wohl mit jemandem passieren, der nach „manageable“ (etwa: lenkbar) den Zustand „critical behaviour“ (kritisches Verhalten) erreicht hat?

Neben Ratthei gibt es drei weitere Franz-Darsteller (Claudia Kraus, Timo Ben Schöfer,
Alexander Hetterle), die sich nach anfänglichem Widerstand mittlerweile völlig dem Kontrollsystem unterwerfen beziehungsweise darauf abgerichtet sind. Doch die Schauspieler können auch anders, so trifft in Gabriels Inszenierung Komödiantisches auf Tragisches und der Zuschauer bekommt inmitten der schonungslosen Darstellung der unausweichlich scheinenden Zukunftsaussichten auch etwas zu lachen.

Weitere Vorstellungen: 25. Februar, 4., 10., 19. und 30. März, 6., 13., 20. und 30. April,
13. und 22. Mai | jeweils um 20 Uhr

Mehr zum Stück auf der Seite des Mainfranken Theaters.

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