Faszination für den Linchpin, der alles zusammenhält. (Foto: Lioba Schöneck) |
Die Ballettkreationen Linchpin von Can Arslan und Die Glasmenagerie von Ivan Alboresi befassen sich mit gesellschaftlichen Erwartungen und der Suche nach dem Selbst. Linchpin nimmt eine gesamtgesellschaftliche Perspektive vor dem Hintergrund der psychologischen Theorien von Carl Gustav Jung ein, während Die Glasmenagerie nach dem gleichnamigen Schauspiel von Tennessee Williams sich auf den Rahmen der Familie beschränkt. Zu sehen sind die beiden Tanzstücke am Mainfranken Theater an einem Abend hinter einander.
Eine Kritik von Kerstin Schorpp
Leuchtende Würfel werden mit einer eigenartigen Faszination in den Händen gedreht, ruckartige und sprunghafte Bewegungsabläufe folgen. Weiße Masken fallen herunter, hinter deren Fassade die Tänzer sich verstecken. Die Ballettcompagnie tanzt sich in grauen Pluderhosen durch die Kreation Linchpin von Can Arslan. Der Würfel zieht sich als wiederkehrendes Requisit durch das gesamte Stück, zunächst in handlicher Form, später als riesiger Kubus. Genauso eckig und kantig wie der Würfel sind auch die Bewegungen der Tänzer. Sie erscheinen gehetzt, von einer seltsamen Unruhe besessen.
Archetypen und ein tanzender Schatten
Foto: Lioba Schöneck |
Die gezielt und vereinzelt eingesetzten Lichteffekte passen gut zu Béla Bartóks melancholischer, düsterer Musik und den gedeckten Farben der schlichten Kostüme von Götz Lanzelot Fischer. Insgesamt gelingt Can Arslan eine spannende Inszenierung, die einen kritischen Blick auf den Zeitoptimierungswahn und Selbstverwirklichungsdruck der westlichen Gesellschaften wirft.
Aus einigen Ecken des Saals klang der Applaus etwas verhalten, was darauf schließen lässt, dass nicht alle Besucher sich auf diese Form des zeitgenössischen Baletts einlassen konnten. Doch auch ohne Hintergrundwissen zur Tiefenpsychologie nach Jung lässt Linchpin ausreichend Interpretationsspielraum und zieht den Zuschauer in seinen Bann.
Konstruierte Traumwelten
Ivan Alboresi, ehemaliges Mitglied der Würzburger Balettcompagnie, setzte als Choreograph das Theaterstück Die Glasmenagerie von Tennessee Williams tänzerisch um: Das Kleinfamilien-Idyll der Familie Wingfield bricht auseinander, nachdem Mutter Amanda (Camilla Matteucci/ Kaori Morito) und ihre beiden Kinder Tom (Mihael Belilov/Felipe Soares Cavalcante) und Laura (Caroline Vandenberg/Ran Takahashi) vom Vater und Ehemann (Ioannis Mitrakis/ Leonam Santos) verlassen werden.
Die minimalistische Musik von Philip Glass, Ezio Bosso, Max Richter, Gabriel Prokofiev und Alva Noto begleitet die Szenen, in denen sich Amanda, Laura und Tom von der ungeliebten Realität in ihre selbst konstruierten Traumwelten stürzen. Übermutter Amanda flüchtet sich zurück in ihre Jugend, in der sie eine von Männern umworbene Schönheit war. Tom träumt von der Freiheit, in die Welt hinaus zu ziehen und die schüchterne Laura gibt sich ihrer Glastiersammlung hin. Die Tänzer lassen die Wesenszüge ihrer Charaktere ganz ohne Sprache zum Leben erwachen, die Bewegungen und der Ausdruck sprechen für sich.
Amanda (Camilla Matteucci), Laura (Caroline Vandenberg) und Tom (Mihael Belilov) in ihren Traumwelten. (Foto: Lioba Schöneck.) |
Von Linchpin unterscheidet sich Die Glasmenagerie zwar im Stil, aber weniger in der Thematik: Realitätsverlust, Verdrängung und Selbstwertprobleme bestimmen das Denken und Handeln der Figuren. Die Inhalte des Unbewussten offenbaren sich in Linchpin als Archetypen und Schatten, in der Glasmenagerie als Träume. Nach Carl Gustav Jung liefern Träume wichtige Hinweise darauf, was im Leben fehlt, damit es als sinnvoll erlebt werden kann. Die Suche nach Identität und einem Platz in der Gesellschaft greifen beide Inszenierungen auf unterschiedliche Art und Weise auf.
Besuchte Vorstellung: 6. Mai 2016
Weitere Termine:
10. und 22. Juni, 6. und 15. Juli | jeweils um 19.30 Uhr
Mehr Informationen zum Stück auf der Seite des Mainfranken Theaters.
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