Zu viel des Bösen


Jekyll & Hyde im Großen Haus  
Henry Jekyll (Armin Kahl) präsentiert sein Elixier. Die potentiellen Geldgeber (Herbert Brand, Paul Henrik Schulte, Monika Eckhoff) sind skeptisch. (Foto: Falk von Traubenberg)



Mit dem Musical Jekyll & Hyde in einem Prolog und zwei Akten von Frank Wildhorn und Leslie Bricusse zeigt sich das Mainfranken Theater von seiner besten Seite: Ivan Alboresis Inszenierung besticht durch eine spektakuläre Bühnenshow und ein grandioses Zusammenspiel der Darsteller mit dem Opernchor, der Ballettcompagnie, der Komparserie und dem Philharmonischen Orchester Würzburg. 

Eine Kritik von Anna Sophia Merwald 

In einer Ecke kauert ein abgemagerter erbärmlich aussehender alter Mann, die Arme um die zusammengezogenen Beine geklammert, den Kopf auf die Beine gestützt. Plötzlich kommen zwei Weißkittel auf die Bühne gestürmt und zerren den Alten, der sich mit Händen und Füßen zu wehren versucht, soweit das sein körperlicher Zustand noch zulässt, auf einen mittig platzierten Rollstuhl. Leichtes Spiel für die beiden Pfleger, die ihn schließlich nur noch per Spritze zu beruhigen brauchen. Schnellen Schrittes betritt dann der Sohn des Sedierten, der Wissenschaftler Dr. Henry Jekyll, den Raum. Er möchte verstehen, wie sein Vater in diesen Zustand des Dahinvegetierens geraten konnte, was mit seiner Seele geschehen ist.

Im Selbstversuch zum rücksichtslosen Mörder


„Jeder von uns ist die Erscheinung von zwei gut unterscheidbaren Mächten: Gut und Böse“. So die Erkenntnis von Dr. Jekyll, der an einem Elixier tüftelt, womit sich eben diese beiden Mächte trennen lassen und das Böse letztendlich vernichtet werden kann. Nachdem er aber keinen Freiwilligen für sein Experiment findet, beschließt er, selbst die Versuchsperson zu sein. Der böse Teil seiner Seele, verkörpert durch Edward Hyde, zeigt sich als bestialisches Monster, das seine Triebe nicht im Zaum halten kann. Da lassen grausame Folgen nicht lange auf sich warten: Schon bald sorgt Hyde – zunächst unerkannt – im viktorianischen London mit einer Mordserie für Angst und Schrecken. Er gewinnt zunehmend Überhand über die Persönlichkeit von Dr. Jekyll, der sich immer mehr aus seinem ursprünglichen Leben zurückzieht.

Jekyll besucht seinen Vater. (Foto: Falk von Traubenberg)
In diese Problematik verstricken sich eine Reihe von menschlichen Beziehungen: Da ist etwa Dr. Jekylls Verlobte Lisa, die sich jedoch mehr seiner Zuwendung und Aufmerksamkeit wünscht. Liebevoll und zugleich frech wird sie von Anja Gutgesell gespielt. Oder als Gegenstück, das Verhältnis ohne Verpflichtungen mit der „freien und willigen“ Lucy aus dem Etablissement „Rote Ratte“, welcher Barbara Schöller mit ihrer kraftvollen Stimme Ausdruck verleiht. Ihre Darbietung ist eine schauspielerische und gesangliche Glanzleistung zwischen Erotik und Liebe. Die Gefühle der beiden Frauen wirken zu keinem Zeitpunkt kitschig oder gar aufgesetzt, haben nichts von dem üblichen Musicalcharakter. Seine Doppelrolle als Dr. Jekyll und Mr. Hyde verlangt Armin Kahl einiges an Wandlungsfähigkeit ab: Eben noch verführerisch lächelnd, dann aggressiv und verbittert. Mal mitreißend, mal abstoßend stellt er seine zwiegespaltene Persönlichkeit überzeugend dar. 

Bilder und Klänge, die im Kopf bleiben


Das Philharmonische Orchester Würzburg unter der Leitung von Sebastian Beckendorf untermalt diese Stimmungswechsel durch den Einsatz entsprechender Dynamik und gestaltet Melodien, die im Kopf bleiben. Besonderes Lob verdient außerdem der Bühnenbildner Bernd Franke, der mit nur wenigen Elementen wie Spiegelfassaden, Holzwänden mit Steinoptik und Hubpodien in unterschiedlicher Anordnung immer wieder neue Räume entstehen lässt. Aufgrund der vielen Schauplätze der Handlung ist eine solche Wandelbarkeit des Bühnenbildes nötig. So kann aus dem Puff „Die Rote Ratte“ innerhalb kürzester Zeit das Labor von Dr. Jekyll entstehen. Die Kostüme (Götz Lanzelot Fischer) der meisten Darsteller sind dem viktorianischen Zeitalter nachempfunden und verdeutlichen den Unterschied zwischen Ober- und Unterschicht. Lediglich der Protagonist trägt einen modernen schlichten schwarzen Anzug, der womöglich auf die Aktualität seiner Geisteskrankheit hinweisen soll. 

Alles in allem ist Ivan Alboresi mit seiner Inszenierung von Jekyll & Hyde ein Gesamtkunstwerk gelungen, das berührt und zugleich schaudern lässt. Wer sich also für einen Besuch des Kassenschlagers entscheidet, den erwartet eine Vielfalt an visuellen und auditiven Eindrücken, die bewegen und überwältigen.


Besuchte Vorstellung: 28. November
Weitere Termine: 15. und 19. Dezember, 6., 15., 16., 21. und 30. Januar, 7. und 12. Februar, 6. und 27. März, 2., 8., 22. und 29. April, 8. Mai | jeweils um 19.30 Uhr,
10. Januar, 6. März | jeweils um 15 Uhr
Silvestervorstellungen: 31. Dezember | 14.30 und 19 Uhr

Mehr zum Stück auf der Seite des Mainfranken Theaters

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